Alter: 62    Kinder: Lisette(32), Niklaus(30), Flurina(26), Annegret(23)

...und Enkel Benedikt(9 Monate)

 

Dass man nach einer langen Kinderpause den Anschluss im Berufsleben verliert, hält Renata für ein Ammenmärchen. Das belegt sie mit ihrer eigenen Laufbahn gleich selbst. Als frühere Lehrerin und studierte Chemikerin war sie während 20 Jahren zu Hause für ihre Familie da. Als sich darauf ihr Mann von ihr trennte, war dies für sie und ihre Kinder eine sehr schwierige Zeit. Neben den Spannungen, die es durch die neue Situation in der Familie zu bewältigen gab, musste sie sich auch eine Arbeit suchen.

Einmal vor einer solchen Situation zu stehen, davor haben viele Mütter Angst. Renata zweifelte nach den grossen Turbulenzen auch daran, ob die Kinder all das verkraften würden: "Mich quälten Fragen wie: War jetzt mein Einsatz für die Kinder umsonst? Können Sie noch zuverlässige, belastbare, liebesfähige, fröhliche Menschen werden? Heute, 13 Jahre später, bin ich sehr dankbar und glücklich, wenn ich an meine nun erwachsenen Kinder denke."

Überraschend bekam Renata dann eine 20%-Anstellung bei der EAWAG, dem Wasserforschungs-Institut des ETH-Bereichs. Sie hatte 20 Jahre pausiert und gerade einmal fünf Wochen Zeit, um sich einzuarbeiten. Angestellt wurde sie, um Chemiepraktika von Studierenden zu leiten. Da stand sie nun pro Woche einen Nachmittag vier Stunden lang vor den 20 bis 30 Studierenden, erklärte Theorie, betreute sie bei den vorher getesteten Versuchen, korrigierte nachher ihre Berichte. Renata: "Zugegeben, weit mehr als 20% Arbeit, unterbezahlt, demütigend, da keine Berufserfahrung angerechnet wurde, aber es war der Einstieg in die Arbeitswelt auf meinem Ausbildungsniveau und damit wunderbar."

Sie las also in den fünf Wochen ein 500 Seiten dickes Buch, um sich auf den aktuellen Stand zu bringen. Eine Freundin stand ihr für Fragen zur Verfügung. Nebenbei lernte sie den Umgang mit dem PC. Heute betreibt sie für die EAWAG in einem 60%-Pensum anspruchsvolle Klimaforschung und publiziert auf englisch.

Renata: "Mutige Menschen haben mir ermöglicht zu zeigen, dass man nach einer langen Pause wieder einsteigen kann. Man tut und lernt ja nicht nichts als Hausfrau und Mutter. Ich hatte vier Kinder gross gezogen. Der Umgang mit den nur wenig älteren Studierenden war für mich kein Problem, das Organisieren auch nicht."

Als Renata eingestellt wurde, sagte der Vorgesetzte ihrer Chefin: "Nimm die nicht, die macht mehr Arbeit, als dass sie uns nützt." Drei Jahre später, als es sich herumgesprochen hatte, dass die Chemiepraktika dank ihr endlich gut liefen, rief sie derselbe Vorgesetzte am Sonntag an. Er brauchte dringend jemanden für ein weiteres Praktikum...

Auch mit den Kindern, die jüngste war inzwischen 10, klappte die Umstellung überraschend gut. Renata: "Wenn ich abends nach Hause kam, hatten die Kinder bereits das Nachtessen auf dem Tisch. Sie genossen die zunehmende Kompetenz und Selbständigkeit."

Im Nachhinein überlegt sie sich, ob es vielleicht für ihre Ehe besser gewesen wäre, wenn sie schon früher Arbeiten gegangen wäre und somit Ansehen und einen Kollegenkreis gewonnen hätte. Renata: "Es kommt dabei auf den Zeitpunkt und das Mass an. Es gibt für mich nichts Wichtigeres, als den Kindern einen guten Boden unter den Füssen zu geben. Dazu müssen sie vor allem in der Kleinkindphase feste, verlässliche, liebevolle Bezugspersonen haben, die sie mit wachsamen Augen und ermutigenden Worten begleiten." Wenn Renatas junge Kolleginnen sie über das Kinderhaben fragen, antwortet sie: "Es kostet sehr viel an Zeit und Engagement. Aber wo gibt es etwas überwältigend Wertvolles, das nichts kostet?"

"Später, wenn die Kinder etwas grösser sind, kommen dann die individuellen Stärken der Eltern zum Zug“ erzählt Renata weiter „Ich beispielsweise wäre nicht dieselbe Mutter gewesen ohne mein Chemiestudium. Meine Kinder erinnern sich noch heute daran, wie ich ihnen schon in der Vorschulzeit voll Bewunderung das Periodensystem erklärte: Wie die ganze greifbare Welt aus nur zwei winzigen Teilchen besteht, den Protonen und Elektronen. Und wie nur die unterschiedliche Anzahl dieser beiden Teilchen in einem Atom die ganze Vielfalt auf der Erde ausmacht. Das begeisterte die Kinder ungemein und sie sahen die Welt mit anderen Augen. Wir Mütter und Väter haben alle unsere Spezialgebiete, die uns faszinieren. Dieser Funke springt auf die Kinder über und macht ihnen die Welt interessant und das Leben schön."

Das Aufwachsen in der Familie möchte sie auch ihren zukünftigen Enkeln ermöglichen. Sie hat sich deshalb immer für Teilzeitstellen für Frauen eingesetzt. Da sagte ihr Sohn eines Tages zu ihr: Auch ich möchte Zeit für meine Kinder haben. Jetzt arbeitet ihr Sohn zu 70%, seine Frau zu 50%, die Erziehungsarbeit teilen sie sich und freitags wechseln sich die beiden Grossmütter in der Betreuung des Enkels ab.

Renata möchte ihrem Enkel zuhören, ihm die Welt zeigen, wie sie sie erlebt und sie freut sich schon jetzt darauf, ihm das Periodensystem zu erklären.

 

Gedanken der vier Kinder zu Ihrer Zeit zu Hause:

Lisette:

"Ich bin sehr gerne in einer grossen Familie aufgewachsen. Bei uns war immer etwas los, sei es nun Arbeit oder Vergnügen, beides wurde mit Elan angepackt. Wir durften unsere Freunde immer spontan zum Essen einladen und haben viel mit anderen Familien zusammen unternommen. Falls ich einmal eigene Kinder habe, wünsche ich sehr, ihnen auch so ein unkompliziertes und inspirierendes Umfeld bieten zu können. Ich finde es aber in der heutigen Zeit wichtig, dass beide Elternteile berufstätig sein können. Deshalb wünsche ich uns den Mut nach neuen Wegen zu suchen, um die Vorteile traditioneller und neuer Familienmodelle zu verbinden."

 

Niklaus:

"Ich habe sehr positiv in Erinnerung, dass unsere Mutter immer für uns
Kinder da war, sich aber nie ausschliesslich mit uns beschäftigt oder
abgegeben hat. Mit 4 Kindern, einem grossen Gemüsegarten, Nähen,
Sonntagsschule etc. war sie ausgelastet genug. Diese Mischung aus
mütterlicher Präsenz und ihren eigenen Aktivitäten und Aufgaben habe ich als sehr gesund erlebt. Gewisse Dinge waren ihr allerdings heilig: der gemeinsame Zoobesuch hat in keinen Schulferien gefehlt; ihr Einsatz, um uns Kinder alle Schwimmen, Skifahren und Autofahren zu lehren, ist legendär."

 

Flurina:

"Ein Leitsatz meiner Mutter über Erziehung bleibt mir immer in Gedanken: Kinder lernen zu gehorchen, wenn man es von ihnen erwartet und wenn man ihnen dabei hilft. Das hatte zur Folge, dass meine Mutter uns nicht nur verbot, auf die Strasse zu rennen, sondern uns auch bei der Hand nahm, damit das gar nicht möglich war. Mit Hilfe dieses Leitsatzes konnte ich als Teenager erfolgreich fremde Kinder hüten. Noch heute von seiner Wirkung überzeugt, würde ich jedem empfehlen, diesen Leitsatz zu befolgen."

 

Annegret:

"Die Zeit, in der meine Geschwister schon zur Schule gingen, ich jedoch noch nicht, habe ich noch sehr lebhaft in Erinnerung. Oft half ich meiner Mutter bei ihren Alltagsarbeiten oder spielte in ihrer Nähe. Vor allem in der Küche hatte ich Spass, da sie mir die schönen Aufgaben überliess und ich viel selber machen durfte. War eine grosse Arbeit gemeinsam bewältigt, durfte auch die Belohnung nicht fehlen, und wir genossen beides als gemeinsames Erlebnis."

 

 

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Portrait November 2008